Kanada: Das Prinzip maximalen Kontakts, die Entscheidung Gorenc v. Gorenc

Der Superiour Court of Justice (Ontario) hat im November 2012 eine wegweisende Entscheidung mit Blick auf das im Divorce Act niedergelegte Prinzip des maximalen Kontakts der Kinder zu den Eltern (maximum contact principle) getroffen.

Sec. 16 (10) Divorce Act lautet:

In making an order under this section, the court shall give effect to the principle that a child of the marriage should have as much contact with each spouse as is consistent with the best interests of the child and, for that purpose, shall take into consideration the willingness of the person for whom custody is sought to facilitate such contact.“

Ausgangspunkt war ein Sorgerechtsstreit in dem beide Elternteile die Übertragung des (alleinigen) Sorgerechts für ihre minderjährigen Kinder auf sich forderten. Das Gericht setzte zur Klärung dieser Frage einen Gutachter ein (sog. assessor). Der Gutachter gelangte zu der Feststellung, dass die Kindesmutter (trotz einiger Defizite betreffend die Bindungstoleranz) die besser Erziehungsgeeignete ist. Daraufhin beantragte die Kindesmutter die einstweilige Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich. Der Kindesvater stellte einen gleichlautenden Antrag im einstweiligen Verfahren mit dem Angebot großzügigen Umgangs für die Kindesmutter.

In ungewöhnlicher Klarheit kam das Gericht, nachdem es sich die Einschätzung des Gutachters hinsichtlich der Persönlichkeit beider Elternteile zugute geführt hatte, zunächst zu folgender Feststellung:

„In short, they are both flawed, and have both, at various times, overlooked the children’s needs in order to satisfy their own agenda.“ 

Das Gericht stellt schlichtweg fest, dass beide Elternteile (in gewissen Grenzen) fehlerhaft und egoisitsch sind und nicht immer das Kindeswohl im Blick hatten, weiter stellte das Gericht fest, dass es keine Entscheidung im einstweiligen Sorgerechtsverfahren über die Übertragung der elterlichen Sorge treffen kann, da durch eine solche Entscheidung möglicherweise eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorwegenommen werden würde. Das Gericht gelangte zur Auffassung, dass eine Entscheidung zugunsten der Kindesmutter deshalb nicht angemessen ist, weil die Kindesmutter dadurch im später durchzuführenden Hauptsacheverfahren eine vorteilhafte Rechtsposition erlangen würde. Die Kinder wären in den müttlerlichen Haushalt derart eingebunden bzw. verankert, dass der KIndesvater zunächst für die Wiederherstellung des status quo (gemeinsame elterliche Sorge) kämpfen müsste (uphill battle). Zur Herstellung gleicher Ausgangsverhältnisse für das Hauptsacheverfahren ordnete das Gericht das Wechselmodell an.

Eine Entscheidung, die durchaus galant daherkommt und Vorbildcharakter für vergleichbare Entscheidungen in Deutschland haben könnte, wäre die Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen Elternteile durch die Gerichte in Deutschland möglich. Die Entscheidung des Superior Court of Justice adressiert ein grundsätzliches Problem im Familienrecht nämlich den faktischen Verlust von Elternrechten durch die Dauer des Sorgerechtsverfahrens. Sind die Kinder nach der Trennung zunächst hauptsächlich bei einem Elternteil, so kann jeder Tag den die Kinder mit diesem Elternteil verbringen, die Rechtsposition des anderen schwächen. Diesem Abhilfe dadurch zu schaffen, dass das Gericht im einstweiligen Verfahren berechtigt wäre gegen den Willen der Eltern ein Wechselmodell anzuordnen ist eine Überlegung wert. Wertvoll wäre eine solche Regelung allerdings nur dann, wenn das Hauptsacheverfahren im Anschluss an das einstweilige Anordnungsverfahren zwingend durchzuführen wäre (wie dies in Kanada der Fall ist). Da dies bisher in Deutschland nicht der Fall ist, ist eine Umsetzung der o.g. Rechtsprechung in Deutschland ohne Weiteres nicht möglich.